Wie sag ichs meinen Eltern???!!

Nun, die erste Hürde war geschafft! Mein Arbeitgeber und meine Kollegen waren sehr freundlich und sehr nett und akzeptierten mich so, wie ich bin.

Aber es gab noch etwas zu tun… Nachdem ich die endgültige Entscheidung getroffen hatte und auch begonnen hatte mich entsprechend zu schminken und zu verhalten, musste ich meine Familie, meine Eltern, Geschwister und meine Tante informieren und den wohl grössten Schock ihres Lebens bereiten…

Ich hatte zu diesem Zweck bereits eine lange Email formuliert, die ich jeden Tag anstarrte, ab und zu auch wieder etwas veränderte und dann wieder anstarrte. Ich traute mich einfach nicht, sie abzuschicken. Man hörte im Internet so viele Sachen von völliger Akzeptanz, bis hin zur Verbannung aus der Familie und abgrundtiefem Hass.

Meine Eltern sind beide etwas… nun ja sie waren beide Lehrer am Gymnasium und… wie soll ich mich ausdrücken, sie sind schon etwas etepetete und konservativ.

Deshalb hatte ich wirklich grosse Angst ihnen mein Geheimnis zu beichten. Schlussendlich habe ich nun, heute Abend endlich diesen Schritt gewagt und die folgende Email geschickt:

Liebe XXXX und lieber XXXXXXXXXX,

ich wollte diese Email ursprünglich gleich an alle schicken, deshalb
weiter unten auch die entsprechende Formulierung. Diese Email liegt
nämlich schon eine ganze Weile bei mir im Entwurfs-Ordner, weil ich
bisher nie den Mut aufgebracht habe, sie Euch zu schicken.

Im Nachhinein entschloss ich mich aber dann dazu, erst einmal nur Euch
zu informieren, bevor ich XXXXXXX, XXXXXX und XXXX ebenfalls informiere.

-

Ich schreibe Euch heute diese Email, weil ich etwas mit mir herum trage,
das nun nicht länger versteckt und unterdrückt werden will.

Glaubt mir, wenn ich sage, das ich sehr, sehr lange darüber nachgedacht
habe, ob und vor allem, wie ich es Euch schreibe und glaubt mir auch,
das ich eine verdammt riesen große Angst davor habe, Euch dies zu schreiben.

Ich möchte gar nicht lange um den heißen Brei herum reden und es hinter
mich bringen. Und ich hoffe wirklich sehr, das Ihr mich danach immer
noch als Euer Kind und als Eurer Familie zugehörig akzeptiert. Dies ist
die größte Angst die ich habe...

Leider gibt es keine Möglichkeit Euch irgendwie auf das jetzt Kommende
vorzubereiten.

Nun, ich erinnere mich noch sehr gut an eine Situation in der Schule -
ich glaube ich war ungefähr 14 oder höchstens 15 Jahre alt - als ich von
mehreren Schülern angesprochen und auch gehänselt wurde, das mein Arsch
beim Laufen wackeln würde wie bei einer Frau. Es gab auch noch andere
ähnliche Vorfälle, sowohl als ich jünger war, als auch als ich schon
älter war.

Ich selbst fühlte auch damals schon, dass irgendetwas nicht mit mir
stimmt. Und ich glaube, das Ihr, XXXX und XXXXXXXXX, irgendwann auch
einmal etwas in der Richtung an mir bemerkt habt, es aber nie gesagt habt.

Von klein auf hing ich immer bei den Mädchen herum und beschäftigte mich
viel mehr mit ihnen als mit gleichaltrigen Jungs. Ich konnte mich auch
immer viel besser mit Mädchen (und Frauen) unterhalten, als mit dem
anderen Geschlecht.

Es ist kein Geheimnis, das ich schon immer sehr sensibel, einfühlsam und
auch sehr ruhig war und früher auch sehr in mich zurück gezogen
(introvertiert) war. Es gab damals auch einige Besuche bei diversen
Psychiatern und Psychotherapeuten um meine mühsam lange aufgebaute und
innig gepflegte innere Mauer zu durchbrechen, wie Ihr sicher alle noch
wisst.

Ich habe viel, viel später erst gemerkt, das ich mich teilweise auch zum
männlichen Geschlecht hingezogen fühle, hatte auch einige sexuelle
Beziehungen zu Männern, vor allem in der Zeit als ich in Ulm war, vor
und während meiner Lehre zum Einzelhandelskauf...mann...

Nein, ich möchte Euch nicht sagen, das ich schwul bin, das bin ich
nicht. Ich stehe sowohl auf Frauen als auch auf Männer. Aber darum geht
es eigentlich auch gar nicht wirklich, jedenfalls ist dies nicht das
eigentliche Thema dieser Email. Ich versuche nur... mich zu erklären.

Es ist erst einige Jahre her, es war in Berlin, kurz bevor ich dann nach
Esenhausen gezogen bin und kurz bevor sich mein leiblicher Vater in
Berlin umgebracht hat. Damals bin ich zufällig auf den Ausdruck
"Transgender" gestoßen und von dem Augenblick an, habe ich alle
Informationen zu diesem Thema regelrecht in mich eingesaugt.

Seit diesem Zeitpunkt weiss ich endlich, was eigentlich mit mir los ist
und dieses Wissen hat bei mir einen Knoten gelöst, der lange, lange Zeit
mir meine Seele zugeschnürt hat, mir die Luft zum Atmen, zum Leben
abgeschnürt hatte.

Seit damals habe ich mich über die Jahre fast ununterbrochen mit diesem
Thema beschäftigt und mich immer weiter informiert, habe mir
verschiedene Meinungen eingeholt, habe mich mit anderen trans* Frauen
(Frauen die in einem männlichen Körper stecken) ausgiebig unterhalten
und so im Laufe der Jahre wirklich alle Zweifel ausgeräumt um wirklich
sicher zu sein.

Ich weiß das sich das was jetzt kommt, für Euch merkwürdig, vielleicht
sogar lächerlich anhört, aber genau das ist es was ich bin, was und wie
ich fühle und was mein größter Wunsch ist:

Ich bin eine sogenannte trans* Frau - Eine Frau, eingesperrt in einem
Gefängnis, eingesperrt in einem männlichen Körper.

Nun, was genau ist Transgender, bzw. Transidentität?
Es gibt hierzu einen ganz toll geschriebenen Artikel den ich Euch nicht
vorenthalten will:
http://diana.tgirl.ch/was-bedeutet-transsexualitat-transidentitat

Im Gegensatz zu früher vertretenen Meinungen ist heute anerkannt, daß
Transsexualität eine Identitätsstörung ist, die weder therapierbar noch
heilbar ist (der Patient ist ganz einfach gesund). Sie paßt lediglich
nicht in unser kulturelles Bild.

Ich stehe mit dem "Bundesverband Trans* e.V.i.G." und der "Deutschen
Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V." in Kontakt und
habe mir dort auch die Bestätigung für meinen Zustand eingeholt.

XXXXXX weiss bereits seit langem darüber Bescheid und sie unterstützt
mich da auch ganz wunderbar. Auch meine Geschwister in Berlin wissen
darüber Bescheid, wie auch sogar mein neuer Arbeitgeber. Allesamt sind
sehr lieb und nett und vor allem sehr verständnisvoll und unterstützen
mich voll und ganz, sogar mein Arbeitgeber und die Kollegen im Büro.

Inzwischen bin ich auch dazu übergegangen, mich deutlich weiblicher zu
geben, in meinen Bewegungen, in dem wie und was ich sage und... auch in
meinem Aussehen. Ich schminke mich, mache mir die Fingernägel und trage
bald sogar eine tolle Perücke.
Ich trainiere sogar meine Stimme, damit sie weiblicher klingt. Es ist
absolut erstaunlich was man nur mit Stimmtraining in diesem Bereich
erreichen kann. Es gibt tolle Videos auf Youtube die zeigen, das man
absolut keine Stimmbandoperation braucht um authentisch und echt
weiblich zu klingen. Zum Beispiel:
https://www.youtube.com/watch?v=a02_j7PGTPI

Der Schritt zum Arzt, zuerst zum Hausarzt dann zu den Psychologischen
Gutachten die ich benötige um die Hormonersatztherapie beginnen zu
dürfen und auch den Erweiterungsausweis mit meinem neuen Namen zu
beantragen, steht noch an. Und damit lasse ich mir auch noch etwas mehr
Zeit um vor allem XXXXXX mit dem Tempo nicht zu überfordern.

Als ich am 17.10. in XXXXXXXXXXXXXX war wegen dem Konzert mit der Harfe
ohne Klassik, war es für mich wie ein verkleiden, ein verstellen und ein
Theater spielen, mich so zu geben, wie Ihr mich kennt.

Ich weiss, ich bin auch bekannt für meine Kurzschlussreaktionen und ich
bin sicher, Ihr denkt gerade an etwas in der Art. Aber seid versichert,
das ich viele JAHRE(!) darüber nachgedacht habe und mich entsprechend
ausführlich und ausgiebig informiert habe um ganz sicher zu sein. Es
gibt für mich in dieser Sache absolut keinen Irrtum mehr.

Ihr habt vor allem durch mich und auch mit mir zusammen so einiges durch
gemacht und ich fühle mich für alles was ich so "verbrochen" habe, echt
schuldig und mies. Auch jetzt wenn ich daran denke, was Ihr alles für
mich, für uns tut, nicht nur aber vor allem finanziell, dann wird mir
ganz schlecht und mein Magen krampft sich zusammen.

Dieser Schritt, dieser Weg den ich nun gehe - gehen muss - ist sicher
nicht geeignet um all das was war und was ist wieder gut zu machen,
sondern eher im Gegenteil. Aber bitte versucht zu verstehen, das ich das
nun endlich, endlich tun muss.

Ich habe Euch, vor allem in Bezug auf mich, als sehr tolerante,
hilfsbereite und unterstützende Eltern kennengelernt. Und ich hoffe
einfach, dass dies hier nicht endet.

Nun ist alles raus und alles ist gesagt und ich hoffe inständig, nein
ich bete darum, das ich auch als Eure Tochter, Schwester und Nichte nach
wie vor von Euch geliebt und akzeptiert werde.

Ich habe, wie oben schon geschrieben, sehr, sehr lange darüber
nachgedacht und auch mit XXXXXXX zusammen lange Zeit über die beste
Vorgehensweise diskutiert.

Es ist klar, das dies auch für XXXX nicht so ganz einfach wird. Aber
gerade hier bin ich der Meinung: Besser jetzt und so schnell wie
möglich, als noch länger zu warten und ihn dann eventuell entsprechenden
Hänseleien und Mobbereien in der Schule auszusetzen.
Ausserdem ist es vor allem für ihn sicher jetzt noch leichter zu
akzeptieren, als es später sein würde.

Mir ist bewusst, das Ihr mich nicht von Heute auf Morgen so akzeptieren
könnt und natürlich Zeit braucht, um das nun zu verdauen. Mir ist auch
bewusst, das Ihr mich nicht sofort als Tochter, Schwester, Nichte
ansehen und vor allem ansprechen könnt, auch dies braucht sicherlich
einige Zeit. Und Ihr sollt alle Zeit dieser Welt dazu bekommen. Ich
werde niemandem böse sein, wenn sie/er mich mit meinem alten Namen
anspricht, oder mich mit "er" oder "Ihm" betitelt. Dies ist
Gewohnheitssache und muss sich erst eingewöhnen.

Apropos Name... auch darüber habe ich lange, sehr lange Zeit nachgedacht
und ich habe mich dazu entschlossen, den Namen "Alex", beziehungsweise
dann "Alexandra" NICHT weiter zu führen.
Der Grund ist ganz einfach und simpel aber auch sehr plausibel:

"Alex" ist mir deutlich zu neutral und wird von Vielen meistens sogar
automatisch mit einem Mann in Verbindung gebracht.
Ich möchte aber, das man mich unmissverständlich als Frau ansieht und
akzeptiert und das man das auch am Namen erkennen kann.

Deshalb habe ich mich für den sehr schönen Vornamen "Christin" entschieden.

So, ich habe alles gesagt. Ich hoffe wirklich, das ich Euch mit dieser
Entscheidung nicht verlieren werde...

In Liebe
Eure Christin

(ehemals Alexander)

Wie meinst Du war wohl die Antwort auf diese Email?
Nun, ich möchte sie Dir keinesfalls vorenthalten, denn diese Antwort ist der Grund, warum ich aktuell, wie im letzten Beitrag geschrieben, über beide Ohren strahle und einfach glücklich bin:

[...]
Du bist jetzt über 40 Jahre alt und kannst und sollst die Entscheidungen, 
die für Dich wichtig sind, selbst treffen und ohne auf uns Rücksicht zu
nehmen. Und ob Mann, Frau, Transgender - das ist Deine Sache und ändert
unser Verhältnis nicht - jedenfalls nicht für uns. Dass wir nie Vermutungen in dieser Richtung hatten, ist eine kleine Fußnote
- sie ändert nichts und soll auch nichts ändern. Wir haben nur die Bedenken, ob Du Dir das auch reiflich überlegt hast und
Dir ganz sicher bist. Spätestens, wenn die Ärzte ins Spiel kommen bzw.
mitspielen, ist ein Rückweg sehr schwierig. Und irgendwann ist es ein
„Way of no return“. Du neigst nach unserer Erfahrung dazu, Deine neuen
Ideen erst mal toll zu finden und als geplant und beabsichtigt, auch wenn
sie es vermutlich nicht sind. Daher ist bei uns schon die Frage entstanden:
meint er das wirklich, oder steigert er sich nur in was rein? Das musst Du für Dich (und die Deinen) klären und entscheiden - für uns
jedenfalls brauchst Du Dich nicht zu verkleiden. Und auch verkleiden ist
ja nichts Schlimmes: Cross-over-dressing wird ja auch von einer
erklecklichen Anzahl von Mitbürgern (oder -bürgerinnen) betrieben …. Wir
würden es nur bedauern, wenn Du einen unumkehrbaren Schritt dereinst
bedauern würdest. Ansonsten: viel Glück und Erfolg und eine gute Zukunft auf den sicher
nicht einfachen Weg. [...]

Tja und hier stehe ich nun, bzw. aktuell sitze ich hier und wir sind in der Gegenwart angekommen. Mein Herz klopft wie verrückt und ich freue mich über mein neues Leben.

Morgen muss ich wieder ins Büro und ich freue mich auch darauf sehr! Die Leute dort sind alle sehr herzlich und nett und wir haben viel Spaß miteinander.

Ab hier wird es jetzt ein Live-Bericht, den ich immer wieder erweitere, wenn es etwas zu erzählen gibt.

Sei also gespannt, wie es mit mir weiter geht, ich bin es jedenfalls sehr!

Kisses!
Christin

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